Kunst im Abitur: Politische und soziale Themen auf der Bühne
Die beiden Grundkurse Kunst des Abiturjahrgangs entwickelten in Anlehnung an William Kentridge kurze Bühnenstücke. In den Werken von William Kentridge werden politische Themen mit bildender Kunst als auch in Kombination mit darstellender Kunst sichtbar. Zentral beschäftigt sich Kentridge mit der politischen Zerrissenheit seines Heimatlandes Südafrika und befragt mit seinen Arbeiten soziale und historische Themen kritisch.
Ausgangspunkte für die gestalterische Aufgabe waren neben der Beschäftigung mit der künstlerischen Position an sich besonders eine Dokumentation über das multimediale Bühnenstücke WAITING FOR THE SIBYL. Eine Vielzahl an Gestaltungsmitteln wie Bühnenraum, Licht, Musik, Gesang, Sprache, Schrift, Körper, Bewegung, Videoprojektionen, Requisiten und kinetischen Bühnenelemente inspirierten die Ideenfindung und den Arbeitsprozess der Schülerinnen und Schüler.
Als unterrichtliches Ziel wurde die Präsentation eines etwa fünfminütigen Bühnenstücks zu einem selbstgewählten Thema formuliert. Zu Beginn mussten die Schülerinnen und Schüler ihr Konzept und die Themenwahl unter sich verhandeln, sodass mir die Arbeitsergebnisse lediglich am Ende einer Stunde dargelegt wurden. Unterschiedliche Rollen, wie Regie, Bühnenbild, Bild- und Videoproduktion, sowie Text und Schauspiel wurden vom jeweiligen Kurs eigenständig, entsprechend Neigung und Kompetenzen aufgeteilt und zyklisch zusammengetragen, sodass final eine dramaturgische Einheit entstand.
Die Kurse zeigten sich gegenseitig ihre Stücke mit den Titeln Wer? und Zukunftsträume, Zukunftsängste an einem gemeinsamen Nachmittag. Als Bühnenraum wurde der mittlere Bereich der neuen Lernlandschaft genutzt, der sich mit Vorhängen verdunkeln lässt. Neben dem fest installierten Deckenbeamer kamen noch Scheinwerfer aus dem Fotolabor zum Einsatz.
Im Bühnenstück Wer? wandelt die Protagonistin zwischen drei vermeintlichen Freundesgruppen, die sie entweder mit Schönheitsidealen, Leistungsbestreben oder rechter Gesinnung bedrängen. Den jeweiligen Kleidungsfarben Rot, Grün und Hellblau passt sie sich mittels farbiger Masken an. Im Wechsel zwischen Dialogen und Gedankenvideos baut sich um das Publikum, welches mittig auf den Polstern sitzt, das Stück auf. Zum Ende geht die Protagonistin überlastet im Sitzkreis in die Hocke, während ein vielstimmiger Chor klagend und fragend „Wer“ ruft. Der emanzipierende Aufschrei „Ich“ stößt den Chor radial um und die Protagonistin kann den Raum verlassen. Doch ein leises Raunen begleitet sie: „Wer?“
Das Bühnenstück Zukunftsträume, Zukunftsängste beginnt mit der Vergabe des Abiturzeugnisses. Die Protagonistin ist kurz glücklich, bevor ein hektisches Geschubse verschiedener Berufe um sie herum ausbricht und sie taumeln lässt. Zusammengesackt muss sie die Einsamkeit der neuen Freiheit aushalten, bis ihr personifizierte Träume und Ängste zur Seite eilen und sich kämpferische um die Protagonistin streiten (siehe Bild). Von den rundlichen Masken werden ihr projizierte Bilder von glücklichen, hoffnungsvollen Zuständen gezeigt, während die eckigen Masken ihr bedrückende Bilder präsentieren. Abschließend überwindet die Protagonistin die Grenzen der Bühne und verweilt im Publikum. Diesem bleibt nur noch die ambivalente Atmosphäre von Bild und Klang zwischen den zugezogenen Vorhängen.
Der Ausdruck der eigenen Ideen in den genutzten Medien war vielschichtig geflochten und geschickt umgesetzt. Kleine Farbverläufe, präzise Formwiederholungen, stimmige Lichtsetzung oder die Bewegung im Bühnenraum zeigten den Betrachtenden die investierten Mühen deutlich.
Die Schülerinnen und Schüler beeindruckten durch ihr Zusammenarbeiten, ihre Eigenständigkeit, die großartige Bereitschaft eigene Komfortzonen zu verlassen und sich auch kniffligen Gestaltungsaufgaben hinzugeben. Die Ideen, Meinungen und verschiedene Ansichten wurden stets fair diskutiert und konstruktiv verhandelt. Die gewählten oder zugeschrieben Rollen im Prozess waren eher eine Orientierung und keine zu verteidigende Bastion. Als Lehrer war es mir wichtig den jungen Erwachsenen passende Freiräume zu geben und lediglich kleine Impulse zu setzen, um Gestaltungsabsichten zu forcieren.
Jascha Fidorra, Kunstlehrer